Walter Kuchen
Das Brot von Kuchen. Atomar gut. Ein Nachruf auf den Bäckergeneral.
S H O R T S T O R Y
Walter Kuchen, Adj Uof, Jahrgang 1932, erfand als Bäckerchef der Armee das Frischhaltebrot, das viele Generationen von Soldaten mehr oder weniger liebevoll «Atombrot» nannten. Das Brot war jedoch um Längen besser als sein Ruf. Und um Universen besser im Vergleich zum fürchterlichen Dosenbrot der Deutschen und Franzosen.
Die Schweizer Armee hatte dank Kuchen seit den 60er Jahren ein «echtes» Brot mit Kruste. Dieses wurde zum Schluss mit einer alkoholhaltigen Lösung behandelt und keimfrei verschweisst. Zwei Jahre Haltbarkeit für ein gutes Brot war das Resultat, notabene ohne künstliche und chemische Zusatzstoffe.
Die Backstube, die er für die Produktion der Atombrote entwickelte, war ebenso genial: In Boltigen konnten auf einer Fläche von 45 Quadratmeter täglich 20'000 Brote gebacken werden.
Kuchen war aber auch mitverantwortlich für die Umsetzung der Idee, mobile Bäckereien einzurichten. Er setzte es um. Das Resultat: 168 mob BK 60 – die «Mobile Bäckerei 1960» auf einem Anhänger die wahlweise mit Diesel, Kohle oder Holz befeuert werden konnte. Die mob BK 60 wurde von den Bäckern liebevoll «Pfupfi» genannt. Er nahm 168 dieser «Pfupfis» in Betrieb und bildete gut 26'000 Bäckerkader und –soldaten aus.
Walter Kuchen ist 19. August 2017 85-jährig gestorben.
L O N G S T O R Y
EIN CHONOLIGISCHES PORTRAIT
1932 Geboren am 18. Juni in Belp, Kanton Bern, als Sohn eines Bäckers und als ältestes von fünf Geschwistern.
1947 Lehre als Bäcker in der Bäckerei Luginbühl in Bern.
Anschliessend Rekrutenschule als Bäckersoldat.
1952 Walter Kuchen begegnet dem Fachberater der Mühle Fraubrunnen Walter Römer. Eine Freundschaft entsteht.
Zwischenzeitlich absolvieren des Militärdienstes. Annahme einer nebenamtlichen Stelle als Technischer Berater der Armee.
1954 Übernahme der elterlichen Bäckerei. Der Vater war an Asthma erkrank.
1958 Abschluss der Meisterprüfung mit Bravour. Im Selben Jahr erkrankt Walter Kuchen an einer Mehlallergie. Das hatte eine Berufliche Neuorientierung zur Folge. Er wollte bereits eine Stelle in der Administration einer Grossbäckerei in Toronto annehmen, als das Oberkriegskommissariat des Eidgenössischen Militärdepartements (EMD – damalige Bezeichnung des VBS) auf Ihn zukam, um die strategische Idee von mobilen Bäckereien taktisch umzusetzen.
Irgendwo zwischen 1954 und 1958 tüftelte Kuchen mit Römer an der Lösung für ein 6-Kornbrot. Der Idee, mehrere Vollkornsorten zusammenzuführen, stand ein Problem im Weg: Die Naturfasern brauchen lange Zeit um zu aufzuquellen – Die lange Zeit sowie die damit einhergehenden enzymatischen Prozesse sind zu viel für die Hefe, die in der Folge übergären. Die Lösung: Das Mehl mit Wasser ohne Hefe quellen lassen, dann mit Backpulver anrühren und schliesslich in geschlossene Formen (Cake-Formen) abfüllen und Backen. Die Beiden tüftelten solange, bis sie mit dem Brot, das auf dem «Kloster 6-Kornmehl» der Fraubrunnen-Mühle basierte, zufrieden waren. Für heutige Verhältnisse erscheint das banal, damals war das ein Kampf. Schon alleine der Umstand, ein Brot ohne Hefe herzustellen stiess nicht einfach so auf Verständnis. Doch das Produkt kam den gewerblichen Bäckereien zugute und wurde auch gut aufgenommen.
1958 Walter Kuchen sagte seinen Toronto-Trip ab und trat in den Dienst des Oberkriegskommissariats ein.
Er gehörte damit zum Rückgrat der Schweizer Armee, den Instruktionsunteroffizieren. Der Instruktor Adj Uof Walter Kuchen war zuständig für die Brotversorgung, dies als Bäckereichef der Armee. Damals muss man wissen, war die Schweizer Armee mit allen Reserven 600'000 Mann stark. Die Schweiz hatte zwar nur eine Armee, dafür aber eine der grössten – sowieso im Verhältnis zu Fläche. Er entwickelte die Umsetzung die Einführung der Mobilen Bäckereien mit. Von denen wurden 168 gebaut und in Betrieb genommen. Er bildete die Bäckerkader und -soldaten dazu aus, gut 26'000 an der Zahl, was zur Folge hatte, dass nahezu alle Bäcker Kuchen und Kuchen die meisten Bäcker kannte.
EIN KLEINER MILITÄRHISTORISCHER EINSCHUB
Bundesrat und Vorsteher des EMD war damals Paul Chaudet (ab 1955) der 1966 als Mitverantwortlicher der Mirage Affäre zurücktrat. Es waren überhitze Düsengetriebene Zeiten mitten im kalten Krieg. Eine Zeit stand im Zentrum: 11 Minuten. 11 Minuten brauchten die MIGs der CCCP (Kyrillisch für SSSR also Sojus Sowetskich Sozialistitscheskich Respublik) um vom Eisernen Vorhang die Schweiz zu erreichen.
Es war kalter Krieg. Zwar ging keiner hin, doch alle hielten Ihre Atomwaffen bereit. Die Bedrohung war real. Damals lief damals auch noch das Kernwaffenprogramm der Schweiz. Ab 1945 beschäftigte sich das Programm mit der eigenständigen Entwicklung und Herstellung von Atombomben für die Schweizer Armee. Das Treiben fand unter dem findigen Namen «Projekt Matterhorn» statt. Die Erklärung des Bundesrates von 1958: «In Übereinstimmung mit unserer jahrhundertealten Tradition der Wehrhaftigkeit ist der Bundesrat deshalb der Ansicht, dass der Armee zur Bewahrung der Unabhängigkeit und zum Schutze unserer Neutralität die wirksamsten Waffen gegeben werden müssen. Dazu gehören Atomwaffen.» Im Zetnrum der Entwicklung stand auch die Schweizerische Eigenentwicklung des Atomkraftwerks Lucens in einer Kaverne des Waadtländischen Sandsteins. Das brachten bisher nur die Schweden und Schweizer fertig, in einer Höhle ein Atomkraftwerk einzurichten. 1969 setzte eine Kernschmelze dem Werk ein jähes Ende. Im Selben Jahr wurde auch der Internationale Atomwaffensperrvertrag in Kraft gesetzt. Doch das konnte dem Kernwaffenlust nichts anhaben. Das Programm wurde erst von Arnold Koller 1988 aufgelöst.
LANGE REDE KURZER SINN: ATOMBROT
Zurück also zur unabhängigen Brotversorgung der Schweizer Armee und zu Walter Kuchen. Es war unsere »Pfupfi» sagen die alten Bäcker heute liebevoll. Pfupfi war ihr Kosename für die mob Bk 60 (Abk.f. mobile Bäckerei 1960) wie sie offiziell hiess. Und die hatte es in sich. Es war ein Lastwagenanhänger mit 10 Tonnen Gewicht. Darauf waren eingerichtet: Knetmaschine, Teigmulde, Arbeitstische mit Waage, Gärraum, drei Backöfen mit total 9.6 Quatratmeter Backfläche, Kaltwassertank, Heisswasseraufbereitung, Wassermischtank, Stromgenerator. Die Öfen konnten mit Diesel, Holz oder Kohle geheizt werden. Die Maschinen konnten sowohl mit Strom von der Dose als auch mit dem eigenen Stromgenerator betrieben werden. Auf dem Lastwagen, der den Anhänger zog, wurden die Zutaten mitgeführt. Dazu kamen, vollständigkeitshalber auch noch erwähnt, 16 Mobile Anlagen/Mühlen für die Mehlversorgung.
Doch das war noch nicht genug. Gerade in den Zeiten Atomarer Bedrohung dachten die Armee daran, dass die Verpflegung mit Brot das notwendigste war und funktionieren musste, auch wenn selbst die mobilen Bäckereien ausfielen. Brot war damals das Grundnahrungsmittel Nr. 1. Der Auftrag: Ein Brot das haltbar ist, jedoch Qualitätiv besser sein musste als das Dosenbrot der Deutschen und Franzosen (Anm. Das Dosenbrot ist fürchterlich).
Walter Kuchen entwickelte also ein Brot, das in frischen Zustand lange haltbar war. Es war ein gutes, kompaktes Kastenbrot – wahlweise auch als Früchtebrot gebacken - das zuletzt mit einer alkoholhaltigen Lösung behandelt wurde um Keime und Pilze abzutöten. Anschliessend wurde das Brot keimfrei verpackt – und das notabene ohne chemische Zusätze. Die Schweiz hatte damit ein frisches Notrationen-Brot mit Kruste und es war auch noch gut.
Offizielle Haltbarkeit: 2 Jahre. Tatsächliche Haltbarkeit – der Schwiegersohn Walter Kuchens zur Neuen Zürcher Zeitung: «Wir haben sogar einmal eines gegessen, das 18 Jahre alt war und es war noch tipptopp.»
Für die Produktion entwickelte Walter Kuchen die dafür vorgesehene Backstube mit und hier zeigt sich die Genialität dieses Mannes endgültig: In der Backstube in Boltigen konnten auf einer Fläche von 45 Quadratmeter täglich 20'000 Brote gebacken werden.
1993 Walter Kuchen wird pensioniert.
1995 Mit der «Armee 95» wurde die Armee ein erstes Mal stark verkleinert und im Zuge dieser Reformen die Bäcker-, Müller- und Metzgereinheiten aufgelöst. Das dürfte, nach der Mehlallergie ein zweiter herber Tiefschlag für Walter Kuchen gewesen sein. Doch der dauerte offensichtlich nicht lange an.
Die mob BK 60 wurden Verkauft. Nach dem Fall der Mauer 1989 und der darauffolgenden Öffnung des Ostens wurde das Hilfswerk «Licht im Osten» gegründet. Die Länder die der ehemaligen Sowjetrepublik angeschlossen waren, litten alle unter enormen Versorgungsnotständen. Die Organisation «Licht im Osten» kaufte mit Hilfe von Spendern 60 der mobilen Bäckereien und brachte sie in die Ukraine. Jetzt mussten nur noch die Ukrainer unterrichtet und die Bäckereien in Betrieb genommen werden. Und wer sollte das tun, wenn nicht der Beste? Man holte Adj Uof aD Walter Kuchen aus der Pension.
Er übernahm die Einführung und die Aufnahme der Produktion sowie die Schulung der Menschen bis 2010. Auch hier zeigt sich die Genialität sowohl von Mensch als auch von Material. Mit den 60 Stück der mob BK 60 wurden 20 Bäckereien aufgebaut die heute selbständig geführt werden. 10 Prozent des Brotes werden kostenlos an die Ärmsten verteilt. Diese Arbeit, sagt Walter Kuchen später, sei die dankbarste seines Lebens gewesen.
Walter Kuchen ist am 19. August 2017 85-jährig gestorben.
Quellen:
http://muehle-fraubrunnen.ch/fileadmin/user_upload/PDF-Downloads/Brot-News-Beitraege/2015-01-01_Erstes_6-Kornbrot___Baeckergeneral.pdf
https://www.e-periodica.ch/cntmng?pid=arl-001:1991:64::486
http://www.swisspersona.ch/uploads/media/September_2017.pdf
https://www.bernerzeitung.ch/region/thun/BaeckergeneralKuchen-gestorben/story/28571008
NZZ-E-Paper vom 24.09.2017 Der Bäckergeneral und der Kalte Krieg
Traueranzeige von Walter Kuchen